Nutzungsdiskussionen.
In den vergangenen Jahren hat die Dresdner Stadtgesellschaft unterschiedliche Diskussionen geführt, die mit dem Alten Leipziger Bahnhof verknüpft wurden: Sie drehten sich um ein jüdisches Museum, eine Gedenkstätte, ein darüber hinausgehendes Dokumentationszentrum zur NS-Geschichte Dresdens, ein jüdisches Kultur- und Begegnungszentrum und um Dresdner Verkehrsgeschichte. Um einen Überblick zu bieten, haben wir die Entwicklungen hier chronologisch zusammen gestellt und werden sie von Zeit zu Zeit ergänzen.
2001
Ein durch die jüdische Künstlerin Marion Kahnemann gestaltetes Denkmal, das an die Deportation von Jüdinnen und Juden in Dresden erinnert, wird am 27. Januar am Bahnhof Dresden Neustadt eingeweiht. Die Gedenktafel ist vom Bahnhofsvorplatz aus zugänglich. Der hinter dem Neustädter Bahnhof liegende Alte Leipziger Bahnhof wird auf der Tafel genannt, aber zu diesem Zeitpunkt noch als Güterbahnhof genutzt. Er wird 2005 endgültig stillgelegt, das Gelände fällt brach.
2012
Im November präsentiert die Globus-Gruppe ihre Pläne, auf dem Gelände des ehemaligen Güterbahnhofs, zu dem auch das historische Gebäudeensemble des Leipziger Bahnhofs gehört, einen riesigen Einkaufsmarkt mit 12.000 Quadratmeter Verkaufsfläche zu errichten. Obwohl der Stadtrat mit knapper Mehrheit dem entsprechenden Bebauungsplan zur Ansiedlung von Globus zugestimmt hat, wehren sich viele Anwohner*innen mit der Gründung von Bürger*innen-Initiativen dagegen. Von den Deportationen, die von diesem Ort ausgingen, spricht zu diesem Zeitpunkt noch niemand.
2013
Ein erster Verein wird gegründet, der sich für die Einrichtung eines jüdischen Museums in Dresden einsetzt. Der Verein ist etwa bis 2015 aktiv, tritt aber nicht öffentlich in Erscheinung.
2014
Im Zuge der Diskussion um das Areal rund um den Alten Leipziger Bahnhof wird über die Ansiedlung des Verkehrsmuseums diskutiert, das zu diesem Zeitpunkt am gegenwärtigen Standort im Johanneum nur einen Mietvertrag bis 2025 hatte. Die Idee wird jedoch verworfen.
Der Dresdner Stadtrat beschließt im Juni das neue erinnerungskulturelle Konzept „Erinnerung vielfältig gestalten“. Darin wird auf den Alten Leipziger Bahnhof als Deportationsort hingewiesen.
2017-
2020
Eher vereinzelt wird über die Einrichtung eines jüdischen Museums gesprochen. Dafür wird der Alte Leipziger Bahnhof genannt; stark sind aber auch die Stimmen, die es im Palais Oppenheim sehen, dessen Wiederaufbau 2018 eigentlich beschlossen worden war. Die Wiederaufbaupläne scheitern endgültig im Mai 2022.
Am Alten Leipziger Bahnhof hingegen zeigt der Protest der Anwohnenden Wirkung: Nach vielen Diskussionen stimmt Globus einem Grundstückstausch mit der Stadt Dresden zu. Die Stadt Dresden möchte das Areal des Alten Leipziger Bahnhofs zum Wohn- und Kulturviertel entwickeln, während der neue Globus-Markt in der Friedrichstadt auf der anderen Elbseite entstehen soll.
2021
April
Am 22. April 2021 beschließt der Dresdner Stadtrat auf Basis eines Antrags aller demokratischer Fraktionen eine mögliche Initiative zur Gründung eines Jüdischen Museums in Sachsen mit Standort Dresden zu unterstützen. Als Anlass dienen nicht nur die vorangegangenen Diskussionen, sondern auch das Festjahr 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland. Den Antrag begründet Agnes von Scharnetzky (B90/Die Grünen).
Oktober
Um die öffentliche Debatte über Sinn, Zweck und Ausrichtung eines möglichen Jüdischen Museums in Dresden voranzubringen, öffnet das Dresdner Stadtmuseum ein Debattenforum in Form eines Online-Blogs. Über einen Zeitraum von 15 Monaten versammelt es Positionierungen von Fachleuten, Wissenschaftler*innen und Vertreter*innen der Zivilgesellschaft. Eine Zusammenfassung der Debatte, die der Historiker Daniel Ristau moderiert, wird veröffentlicht.
2022
Januar
Anlässlich des 80. Jahrestages des ersten Deportationstransports von Jüdinnen und Juden in Dresden am 21. Januar 1942 organisiert das Bündnis Herz statt Hetze eine Gedenkveranstaltung. Überlebende der Shoah fordern die Errichtung einer Gedenkstätte.
Der Künstler David Adam befestigt aus diesem Anlass drei Emailleschilder, die nach „Wann“, „Wieviele“ und „Wohin“ fragen. Die Gedenkinstallation begleitet eine Webseite, die eine umfangreiche Materialzusammenstellung zum historischen Ort und den Deportationen enthält.
Februar
Die Stadt Dresden startet den Ideenwettbewerb „Gedenkareal Dresdner Norden“. Sie fordert dazu auf, gestalterische Konzepte einzureichen, die Verbindungslinien zwischen historischen Orten der NS-Verbrechen in den Stadtteilen Pieschen, Klotzsche und Trachenberge sichtbar machen. Hierzu gehören etwa die ehemaligen Göhlewerke der Zeiss Ikon AG (ein Teil der Gebäude beherbergt heute das Kultur- und Wohnprojekt Zentralwerk) in Pieschen, das ehemalige Judenlager Hellerberge und der Alte Leipziger Bahnhof als Verkehrsknotenpunkt der Kriegsökonomie und Deportationsort. Der Ideenwettbewerb soll einen „Möglichkeitsraum“ bieten, „wie mit den materiellen wie immateriellen Hinterlassenschaften der nationalsozialistischen Vergangenheit perspektivisch umgegangen werden soll“.
Gewinner des Ideenwettbewerbs ist ein Entwurf des Architektenbüros Wandel Lorch Götze Wach GmbH, nach dessen Entwürfen auch die Neue Synagoge in Dresden entstand.
März
Das städtische Unternehmen Sachsen Energie legt eine erste Machbarkeitsstudie zur Sanierung des ehemaligen Empfangsgebäudes des Alten Leipziger Bahnhofs vor. Darin enthalten sind drei Varianten der Erneuerung und Wiederrichtung des Gebäudeensembles. Die Investitionskosten liegen zwischen 9 Millionen und 15 Millionen Euro.
Unter dem Titel „Jüdisches Leben präsentieren. Zur Diskussion um ein jüdisches Museum in Sachsen“ veranstaltet das Amt für Kultur- und Denkmalschutz der Stadt Dresden eine Podiumsdiskussion.
April
Der Förderkreis Gedenk-, Begegnungs- und Lernort Alter Leipziger Bahnhof gründet sich als Reaktion auf die im Januar durchgeführte Gedenkveranstaltung.
Mai
Die Stadt Dresden führt eine umfangreiche digitale Bürgerumfrage zum Jüdischen Museum durch. Die Ergebnisse werden dem Dresdner Stadtrat zur Verfügung gestellt.
Als Alternative zum Museumskonzept wird die Einrichtung eines „Jüdischen Kultur- und Begegnungszentrum“ diskutiert. Hierfür finden bis Juli 2022 insgesamt drei Workshops statt. Die Ergebnisse sind unter
abrufbar.
Juni
Das Institut für räumliche Resilienz errichtet vor der Ruine des Bahnhofsgebäudes einen temporären Gedenkort und bemüht sich um eine Diskussion über die Möglichkeiten und Formen eines Gedenkens.
November
Am 9. November 2022 errichtet der Verein Hatikva e.V. gemeinsam mit dem Landesverband Sachsen der Jüdischen Gemeinden, dem Archiv Gedenkbuch und der Projektgruppe Audioscript im Raum des Gedenkortes ein temporäres Dokumentationszentrum, mit dem sie einen Ort für das Sammeln, Erforschen und Vermitteln über die Zeit des Nationalsozialismus in Dresden fordern. Hierzu stehen sie in engem Kontakt mit Nachfahr*innen überlebender Dresdner Jüdinnen und Juden.
2023
März
Der Dresdner Stadtrat beschließt in seiner Sitzung am 23. März 2023, die Entwicklung eines Erinnerungsortes zum Gedenken an die Shoah mit Vermittlungs- und Begegnungsstätte voranzutreiben. Der Beschluss umfasst den Auftrag an die Stadtverwaltung, den Ankauf des Geländes vom bisherigen Eigentümer, der Globus-Gruppe, oder die Anmietung in die Wege zu leiten und ein Nutzungs- und Betreiberkonzept vorzulegen. Auch die Einrichtung eines NS-Dokumentationszentrums am Alten Leipziger Bahnhof soll geprüft werden.
Mai
Die Stadtverwaltung beauftragt das Verkehrsmuseum Dresden, eine erste Konzeption zu erarbeiten. Das Museum präsentiert unter dem Titel „Bahnhof der Erinnerung“ eine Konzeptstudie, die am historischen Ort einen „Erfahrungs- und Erlebnisraum“ vorschlägt. Im Zentrum des Konzeptes steht die industrie- und kulturgeschichtliche Bedeutung des Alten Leipziger Bahnhofs als Endpunkt der ersten Ferneisenbahnstrecke auf deutschsprachigem Gebiet von Leipzig nach Dresden. Das Gedenken an die Deportationen wird in den Kontext von „Krieg und Zerstörung“ sowie die Fluchtbewegungen gestellt und die Spezifik der Shoah damit nivelliert.
Juni
Der Förderkreis beginnt unter dem Titel „ERINNERN – BILDEN – BEGEGNEN“ mit einer Veranstaltungsreihe am Alten Leipziger Bahnhof. Er organisiert eine Filmvorführung, Podiumsdiskussion und einen literarisch-musikalischen Abend zu den Bücherverbrennungen 1933. Parallel organisiert der Förderkreis drei Veranstaltungen zum Selbstverständnis und zur Erarbeitung eines eigenen Profils, die zu einer ersten Konzeptionsskizze für die perspektivische Einrichtung einer Gedenkstätte und eines Initiativenraums zum jüdischen Leben führen.
November
Am 23. November 2023 gründen dreizehn Mitglieder des Förderkreises den Verein Gedenkort Alter Leipziger Bahnhof e.V. Der Verein wird als gemeinnützig anerkannt und soll die Aktivitäten des Förderkreises vor allem bei der Akquise von Fördermitteln und Spenden unterstützen.
2024
Februar
Das Amt für Kultur und Denkmalschutz der Stadt Dresden startet eine Ausschreibung zur Erstellung eines Betreibungs- und Nutzungskonzepts für den Alten Leipziger Bahnhof. Auch der Förderkreis bewirbt sich und setzt sich mit seinem Konzept durch.
Juli
Das Konzeptionsprojekt des Förderkreises nimmt die Arbeit auf.