Unsere Vision.
„Die Erinnerung ist wie das Wasser: Sie ist lebensnotwendig und sie sucht sich ihre eigenen Wege in neue Räume und zu anderen Menschen. Sie ist immer konkret: Sie hat Gesichter vor Augen, und Orte, Gerüche und Geräusche.“
In diesen Worten des Shoah-Überlebenden Eliasz Noach Flug (1925-2011) wird deutlich, welch zentrale Bedeutung Orte des Erinnerns und Gedenkens in unserer Gesellschaft haben: Sie bilden Anker, die uns mit dem Leben verfolgter und ermordeter Menschen verbinden. Sie schaffen einen Raum zum Trauern. Und sie geben Anregung, etwas für die Gegenwart und Zukunft zu lernen.
In Dresden ist der Alte Leipziger Bahnhof ein solcher Ort, der einen Anknüpfungspunkt schafft: Als Abfahrtsbahnhof von Deportationszügen verbindet sich mit ihm die letzte reale Erinnerung von Überlebenden an ihre Familien und Freund*innen.
Die ehemalige Empfangshalle im Zustand von März 2024:
Gegenwärtig ist der Bahnhof, der 2024 auf 175 Jahre Geschichte zurückblicken kann, eine denkmalgeschützte Ruine. Der Förderkreis Gedenk- und Begegnungsort Alter Leipziger Bahnhof hat sich zum Ziel gesetzt, ihn zu einem lebendigen Zentrum des Gedenkens, der Beschäftigung mit den Verbrechen des Nationalsozialismus und der Begegnung mit dem Judentum in Geschichte und Gegenwart zu entwickeln.
Vom Tatort zum Ort des Gedenkens, Lernens und Begegnens
Der Alte Leipziger Bahnhof ist an erster Stelle ein Tat- bzw. Täter*innenort. Er war für die Administration und Durchführung der Shoah ein zentraler Verkehrsknotenpunkt, nicht nur für Dresden. Er hatte eine wichtige infrastrukturelle Bedeutung für die nationalsozialistische Kriegswirtschaft, für die Dresden ein bedeutender Standort war. Die verschiedenen Komplexe, die sich am Alten Leipziger Bahnhof manifestieren – Deportation und Mord, Zwangsarbeit, Kriegswirtschaft und Rüstungsindustrie, aber auch die bedeutende Industrie- und Eisenbahngeschichte vor und nach der NS-Zeit – sind dabei konzeptionell nicht leicht miteinander zu vereinen.
Gedenken ernst zu nehmen bedeutet deshalb an erster Stelle: den Blick auf die Opfer zu richten. Der historische Tatort wird damit zu einem Gedenkort, der den Ermordeten, den Überlebenden und auch ihren Nachkomm*innen gewidmet ist. Mit dem Auftrag, Wissen über die Deportierten und die NS-Zeit zu vermitteln, wird der Alte Leipziger Bahnhof aber auch zum Lernort. Dafür braucht es neben Dauer- und Sonderausstellungen pädagogische Konzepte und Formate, die jüngeren und älteren Menschen, Gruppen und Einzelbesucher*innen gerecht werden.
Die Etablierung eines Gedenk-, Vermittlungs- und Begegnungsortes erfordert wie bei allen Orten mit einem solch spezifischen Charakter Sensibilität im Umgang mit den baulichen Zeugnissen und eine hohe fachliche Expertise in der Konzeption und Kontextualisierung der historischen Spuren.
Unsere konzeptionelle Perspektive richtet sich darüber hinaus auf die Gegenwart und in die Zukunft: Am historischen Tatort und zukünftigem Ort des Gedenkens soll für alle Menschen auch die Begegnung mit dem gegenwärtigen Dresdner jüdischen Leben möglich sein, das in seiner Vielfalt jene Strömungen abbildet, die das Judentum in Deutschland in den zwei Umbruchphasen nach 1945 und nach 1990 geprägt haben und weiterhin prägen. Damit stellt der Ort auch migrationshistorische Fragen an die Nachkriegsgeschichte und etabliert Praktiken der Information, der politischen und der kulturellen Bildung, beispielsweise durch Vorträge, Lesungen oder Auftritte jüdischer Künstler*innen – er wird zum Begegnungsort.
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Mögliche Säulen der zukünftigen Institution:
Säule 1: Gedenkstätte
/// NS-Dokumentationszentrum: Archiv, Sammlung, Forschung, Schicksalsklärung
/// Dauerausstellung /Wechselausstellungsfläche
/// Einbezug der historischen Gleisanlagen als Gedenkort
/// pädagogische Vermittlungsformate vor Ort
Säule 2: Begegnungsstätte
/// Lesecafé und Bibliothek
/// integrierte Ausstellungseinheiten und Medientische zu aktuellen Aspekten jüdischer Kultur
/// Veranstaltungs- und Seminarräume
/// kooperativ gestaltetes Veranstaltungsprogramm
Säule 3: Erlebnisraum Mobilität
/// architektonische Gestaltung des Ringlokschuppens als Ausgangspunkt zur Erschließung des Gesamtareals
/// interaktiv erfahrbare Ausstellung zur Eisenbahngeschichte
/// Raum für zukunftsgewandte Fragen zu Gesellschaft und Mobilität
„Ich möchte die Eröffnung noch erleben“ – eine zeitliche Umsetzungsperspektive
Aufgabe der kommenden Monate und Jahre wird es sein, die bis hierher beschriebene Vision Wirklichkeit werden zu lassen. Dafür müssen noch zahlreiche Hürden bewältigt werden. Bis heute (Stand August 2024) ist das Grundstück, auf dem sich der Alte Leipziger Bahnhof befindet, nicht im Besitz der Stadt Dresden. Das erschwert die Gebäudeplanung und verzögert den Baustart. Neben der Eigentumsfrage müssen rund um den Bau Fragen der Finanzierung, der Sicherungs- und Erhaltungsmaßnahmen am Altbau, des Bauantrags und Genehmigungsverfahrens bewältigt werden, damit es zu einem Baubeginn kommen kann. Über den Bau hinaus muss festgelegt werden, wie die neu zu begründende Institution konkret aufgebaut wird, wer daran beteiligt ist und wie die Finanzierung aussehen wird.
Die Shoa-Überlebende Renate Aris hat, wie Sie schon auf unserer Startseite lesen konnten, zur Eile gemahnt: „Ich wünsche mir sehnlichst zu erleben, das Band zur Eröffnung einer Gedenkstätte an diesem Ort zu durchtrennen. Ich werde in diesem August 89 Jahre. Die Zeit drängt.“ Damit der Wunsch der letzten Shoa-Überlebenden in Sachsen in Erfüllung gehen soll, die Eröffnung einer Gedenk- und Begegnungsstätte zu erleben, müssen wir darauf drängen, mit den nötigen Schritten voranzukommen. Eine Umsetzung des Projektes bis Ende 2027 ist möglich, erfordert aber Mut, Wille, Geld und nicht zuletzt viel ideelle Unterstützung. Gehen wir es an.